Allgemein 28. Mai 2020

Brief in die Vergangenheit-Der 28. Mai 2011

von Detlef Förster

Heute vor 9 Jahren, am 28.05.11 begann die Zeit still zu stehen- Mein Brief in die Vergangenheit.

VORSICHT TRIGGERWARNUNG!

In 7 Monaten Afghanistan, in einem Durcheinander von Trauer, Wut, Anspannung und auch Hilflosigkeit, in einer permanenten Bedrohungslage wo Kameraden fielen und verletzt wurden, haben sich Leben verändert. Nichts war danach wie vorher! Die Brutalität die uns Soldaten und auch der Zivilbevölkerung in Afghanistan entgegen schlug wurde von mir, seit meinem ersten Einsatz 2003 in Afghanistan, noch nie so wahrgenommen. Aus Verbundenheit wurden Zweifel, gegenüber allem und jedem außerhalb der Camp Mauern.

Tod, Verwundung, Abschiednehmen und Weitermachen!

Nicht nachgeben und anmerken lassen, dass wir verwundbar sind – damit die Opfer nicht umsonst waren. Raus, weitermachen und zeigen, dass ich nicht verwundbar bin, geschweige denn verletzbar in meinem Herzen. Der 28.05.2011 ist Vergangenheit, aber in meinem Kopf und meinem Leben ist er jeden Tag gegenwärtig. Ich verstehe es auch 9 Jahre später nicht ganz, wieso dieser Tag mein Leben und das meiner Liebsten so beeinflusst! Warum haben mich diese Ereignisse aus 2011, trotz der vielen Einsatztage zuvor, mit vielen gefährlichen Situationen und auch gefallenen Kameraden unterschiedlichen Nationen, so nachhaltig verändert?

Das als die Särge an mir vorbei zogen, ich mich still fragte:“ Warum liegt er darin und nicht ich?“

Lag es daran, dass diesmal Freunde aus der Heimat dort unten waren für die ich Verantwortung trug? Das ich ihnen kein Freund sein konnte, sondern nur der funktionierende Soldat und Vorgesetzte? Weil ich das erste Mal eine emotionale Überforderung in mir wahrnahm und merkte, dass ich selbst auch überleben möchte, um meine Liebsten nur noch einmal sehen und spüren zu können? Das zum ersten Mal Kameradinnen und Kameraden verwundet wurden und gefallenen sind, die mir persönlich bekannt waren? Das meine höchsten Vorgesetzten im Norden Afghanistans genau so verwundbar schienen, wie meine Leute und auch ich?

An dem Schuldgefühl, weil ich nicht in einem der Särge lag? Das in einem Bruchteil von Sekunden mehrere hundert Tage Afghanistan schlagartig durch meine Gedanken liefen und ich erkannte, dass ich all die Jahre einen Schutzengel an meiner Seite hatte? Oder lag es daran, dass ich einfach müde war von der emotionalen Belastung, welche seit Monaten über mir und meinen Kameraden lag? Eine emotionale Belastung, die auch danach nicht aufhören sollte und ich mir wünschte, mit den Kameraden in den Särgen tauschen zu können, damit ich endlich zur Ruhe kommen kann.

All diese Fragen sind nicht beantwortet und an guten Tagen lächle ich sie weg

Alles scheint gut zu sein, aber an schlechten Tagen fressen Sie mich auf und ich möchte zurückkehren in diese Zeit, an diesen Ort, um Antworten zu finden. Ich wünschte mir tauschen zu können, mit denen die gefallen sind. Vielleicht könnten sie ihr Leben genießen und fühlen, besser als ich. Vielleicht könnten sie Emotionen fühlen, zulassen und mit ihren Liebsten teilen und keine Last für andere darstellen? An schlechten Tagen wird es dunkel in meinem Kopf und aus bunt wird grau. Die Schönheit der kleinen und großen Dinge in meinem Leben werden unscharf und über allem liegt ein Schleier aus düsterem Nebel. Dann tauchen wieder so viele Fragen auf, die ich an die gefallenen Kameraden stellen möchte.

Seid ihr wütend auf mich, dass ich lebe und ihr nicht und ich dieses Leben nur schwerlich genießen kann?

Würdet ihr sagen: „Stell dich nicht so an und reiß dich zusammen, lebe und genieße dein Leben“? Würdet ihr sagen: “Lass uns tauschen! Denn wir wissen wie viel das Leben wert ist und du nicht!“? All diese Fragen und das wird mir schmerzhaft immer bewusster, werden mich für den Rest meines Lebens begleiten, weil sie nie beantwortet werden. Sie werden mich immer wieder in meinem Kopf nach Afghanistan zurückkehren lassen, zu den Emotionen und Gefühlen, zu denen die dort geblieben sind und nicht mehr zu meiner Welt gehören.

Dann denke ich an meine Frau, die seit all den Jahren hinter mir steht!

Die hunderte von Tagen Angst um mich haben musste, ob dieser eine Anruf kommt. Oder beim Klingeln an der Haustür die Nachricht überbracht wird, die Niemand will! Die nicht weiß, wie verändert ich diesmal aus dem Einsatz zurückkomme. Die mit mir klarkommen muss und alles verstehen soll, wenn das Erlebte in meinen Kopf zurückkehrt und sie innerhalb weniger Sekunden meine Stimmungsschwankungen verstehen soll. Sie, die jetzt mit all dem leben und auch darunter leiden muss, dass ich mich verändert habe und nicht mehr der bin der ich war.

Über sie redet kaum einer und fragt:“Wie geht es dir damit?“

Diese und all die anderen Fragen drehen sich in meiner kleinen Welt und ich würde gerne die Zeit zurückdrehen, wieder der Alte sein den sie kennt und vermisst. Denn sie kann doch nichts dafür, dass ich dort war und muss doch die Konsequenzen mittragen. Wenn ich das alles wahrnehme, bin ich in der Vergangenheit, obwohl es gerade hier und jetzt Realität ist.

Die Vergangenheit hilft mir die Zukunft zu nutzen, um die Gegenwart wieder zu erleben!

Bilder: Detlef Förster

Wie geht es den Einsatzrückkehrern und ihren Angehörigen und wo finden sie Hilfe

Kommentare 11
  • Möge auch die Kraft der Frau, dir den Rücken frei zu halten und da zu sein wenn bei dir wieder alles Grau in Grau ist nicht nachlassen, das ist bestimmt eben so hart, weil sie da bestimmt auch oft überrascht wird, ich wünsche euch das Beste und Durchhaltevermögen weiterhin

  • Stimmt genau und sehr gut geschrieben, Kamerad … !!
    Habe auch anerkannte
    WDB-GdS 50/PTBS
    nach ~2.500 Einsatztagen.
    ??????????

    Dirk Rohlfes
    OTL d.R
    EinsatzVeteran

  • Ich wünsche dir, das Erlebte gut zu verkraften
    und das du wieder selbst sein kannst wie früher und
    mit den Menschen neben dir.

  • Gut geschrieben, trifft vieles genau so wie es ist / war. Ich war einige Monate später da!
    Beklemmend und bis heute in allem unvergesslich.
    In Treue Fest und allen Soldaten nur das beste.
    HFw a.D
    EinsatzVeteran

  • Ich war bis 2007 in Kastellaun stationiert und kannte Major Tholi.
    2006 bin ich in Mazar-e-sharif gewesen.
    Habe beim Lesen Gänsehaut bekommen es ist sehr sehr gut geschrieben.

  • Ich stimme den Kameraden voll und ganz zu. Ich war an ISAF 3,5,und 8 beteiligt und bin froh dass ich körperlich gesund heimkam.Jedoch habe ich nach einiger Zeit bemerkt dass ich innerlich in vielen Bereichen wie Tot bin.meine Gefühlswelt ist seitdem ein stäniges auf und ab. Auch heute noch ,nach über zehn Jahren danach fühle ich mich teilweise wie tot und dann kommt in mir die Wut auf über die Politversager in Berlin.Wenn mich jemand fragt warum ich dort war dann sage ich :Schau in die Kinderaugen ,dann weißt du warum ich da war.Ich habe kein PTBS oder sonst eine anerkannte Krankheit aber ich weiß ganz genau dass ich innerlich weiterkämpfen muss,für mein Kind,für meine Kameraden und vor allem für mein Land,aber Nicht für die verschissenen Politiker!!!

  • Ich weiss was die Frau durch macht, mein Freund war auch in Afghanistan und es ist oft nicht leicht. Erst ist er fröhlich dann wirkt er in sich gekehrt und lässt keinen an sich ran.
    Ich bin stolz darauf was unsere Truppen da unten geleistet haben.

  • Danke für die Eindrücke, die auch für junge Soldaten ein wichtiger Einblick sind. Grade das Thema Auslandseinsatz wird oft in den Hintergrund geschoben und erst unmittelbar vorher wieder aus der Schublade geholt.
    Ich wünsche alles Gute und viel Erfolg auf dem weiteren Weg.

  • Als mein Sohn 2011 nach Afghanistan musste,hab ich ähnliche Emotionen wie die Ehefrau erlebt. Die Angst um meinen Sohn war mein ständiger Begleiter. Und das Klingeln an der Tür ließ mich jedesmal erschauern.Viel Kraft für dich und deine Familie und vor allem viel Solidarität und Verständnis der Mitmenschen. Du hast mein tiefstes Mitgegühl.

  • Auch ich war vor 9 Jahren in diesem Land. Einen Tag vor den Geschehnissen des 28.05.2011 waren alle Betroffenen noch bei uns in FAIZABAD. Ich hatte ein 4-Augen-Gespräch mit Gen. Kneipp, das mir – mit Blick auf die Ereignisse des Folgetages – ewig in Erinnerung bleiben wird. Er sprach in einer sehr ruhigen und fürsorglichen Art mit mir und gab mir mit auf den Weg, auf meine Frauen und Männer – die ich dort führen durfte – aufzupassen. Ich tat dies bereits vor dem Gespräch, doch danach noch intensiver. Die gesamte Einsatzdauer prägte mich, doch gerade die Tage im Mai sind es, die die Erinnerungen bestimmen.

  • Ich werde diese Zeit nie vergessen,sie ist ein Teil von mir, es ist mein Leben geworden! 2011 März-August Kunduz hat mir die Augen geöffnet (leider nicht zum ersten mal), dass Soldat sein doch nicht einfach nur ein Beruf ist… sondern eine Berufung!

    Der Gedanke, das Gefühl und Erlebte ist meins … danke für jeden Tag das ich noch Leben darf!

    OStFw und Spieß

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