Allgemein, Thematik 5. Juli 2019

„Du warst doch nur Sani, Du bist doch kein Veteran…“

von Bjoern Vetter

… „eigentlich nur eine Krankenschwester!“ meint mein Gegenüber, ehemaliger Grundwehrdienstleistender bei den Fallschirmjägern und heute leidenschaftlicher Airsoftspieler, der sich mehrmals im Jahr als Soldat verkleidet und auf Truppenübungsplätzen im ehemaligen Ostblock „Krieg spielt“.

Ich überlege, ob ich ihm erzählen soll, was mich seit Sarajevo und Prizren 1998 und 2000 bewegt. Ob ich ihm vom soldatischen Leben in einem Feldlager berichten soll, von bis zu sechs Monaten am Stück Abwesenheit von Familie, Freundes- und Bekanntenkreis? Vom Gefühl der permanenten latenten Gefahr für Leib und Gesundheit im Einsatzland auf der einen und die langen Zeiten eintöniger, dröger Ereignislosigkeit, Routine und Langeweile auf der anderen Seite, die Soldaten schulterzuckend mit „Jeder Tag ist Mittwoch“ akzeptieren? Vom bürokratischen Wahnsinn, der auch im Einsatzland nicht Halt macht, vom Vertrauensverlust in Institutionen und Vorgesetzte, von der vielbeschworenen, gelebten Kameradschaft, die man so in dieser Form nur unter Einsatzsoldaten findet – die meiner Erfahrung nach aber leider oftmals mit der Dienstgradgruppe endete?

Soll ich ihm erklären, was es bedeutet, 24/7 bewaffnet zu sein und nur auf Befehl und mit Splitterschutzweste, geladener Waffe usw. das Feldlager verlassen zu können?

Von der massiven Grundanspannung, mit militärischen Fahrzeugen im normalen, zivilen Straßenverkehr unterwegs zu sein, vom unguten Gefühl bei jedem durch Staus oder ähnlichem erzwungenen Halt? Von der Angst bei nächtlichen Patrouillenfahrten? Erzähle ich von der Ohnmacht, nicht helfen zu können; vom Gefühl, als Rettungssanitäter in einer Medevac-Einheit eventuell nicht gut genug ausgebildet geschweige denn ausgerüstet zu sein – vom Rettungsdienstalltag im Einsatz, der so ganz anders ist als in Deutschland? Vom Leid der Bevölkerung, von der allgegenwärtigen Armut, die man wohlstandsverwöhnt, wie man als Deutscher ist, vorher nicht einmal erahnen konnte? Von den toten Kindern, die von Blindgängern oder Minen zerrissen wurden oder sich beim Spielen mit Waffen gegenseitig umgebracht haben? Von den Exhumierungen durch das Kriegsverbrechertribunal, bei denen meist Kampfmittelbeseitiger und damit auch „Sanis“ dabei waren? Vom alles durchdringenden, süßlich-herben und brechreizerregenden Verwesungsgestank, an den man sich viel zu schnell gewöhnt, den man aber nie mehr gänzlich aus der Nase bekommt?

Von der eigenen Hilflosigkeit, wenn Kameraden, mitunter die härtesten Hunde, im Einsatz psychisch zusammenklappen und man ihnen nicht helfen kann, man mit ihnen leidet?

Von den Suiziden im Kameradenkreis? Von der beinahe körperlich greifbaren Trauer im gesamten Feldlager bei Todesfällen im Kontingent? Vom dennoch befriedigenden Gefühl, trotz allem an etwas Wichtigem teilzuhaben, das größer ist als man selbst; als kleiner Teil des großen Ganzen schlimmeres Unheil zu verhindern und aktiv helfen zu können?

Erwähne ich die nächtlichen Schüsse in der direkt ans Feldlager angrenzenden Stadt, die in der Morgenlage oftmals als „landestypische Freudenfeuerwerke“ erklärt wurden oder das drive-by-Shooting, als aus einem am Feldlager vorbeifahrenden Auto Feuerstöße auf den Sichtschutzzaun abgegeben wurden und nur der holden Fortuna dankend niemand verletzt oder gar getötet wurde? Ob er es versteht, dass ich noch heute, 20 Jahre später, jedes Mal unmittelbar an Minen und Sprengfallen denken muss, wenn ich befestigte Wege verlasse? Dass die Einsätze immer noch Bestandteil meiner Gedankenwelt und gelegentlich auch der nächtlichen Träume sind? So viele Gedanken, Erinnerungen und Eindrücke, gute wie schlechte, drängen bei seinem Spruch an die Oberfläche…

Ich atme tief durch.

Ich erspare mir fruchtlose Diskussionen über Truppengattungen und Einsatzerfahrungen, erspare mir belehrende Kommentare im Sinne von „Du warst ja schließlich freiwillig dort…“ oder „Heute in Afghanistan ist alles viel schlimmer“. Ich akzeptiere, dass er all das nicht verstehen kann und will – und antworte nur: „Du weißt doch: Seit letztem Jahr ist jeder, der gedient hat, ein Veteran. Auch Du.“

Und denke, nicht ganz ohne Stolz: „Aber ich bin EinsatzVeteran!“

Foto: Björn Vetter

Einen weiteren Bericht über Einsätze und die Folgen findet ihr hier

Kommentare 33
  • Super geschrieben.
    Respekt und schönen Gruß aus Hamburg.

  • Danke Björn…ich war selber als Sani auf der Intensivstation, 1998 und 2000 in Rajlovac und 2002 in Kabul…Danke für deine Worte

  • Super das elend betrifft jeden egal welcher Farbe des Baretts oder Litze. Glück ab

    • Hallo Herr Vetter,

      auch mir geht es ähnlich. Bei einigen Menschen stoße ich auf Unverständnis, bei manchen auf Respekt. Erzählen brauche ich recht wenig von meiner Zeit als Fachpfleger für Intensivmedizin in meinen Einsätzen ISAF 2007 (Kdz), 2011 (Fzb), 2012 (Kdz). Ich kann Ihre Meinung komplett nachvollziehen. Passen Sie weiterhin gut auf sich auf und ärgern Sie sich bitte nicht zu sehr über die Unwissenheit anderer.

    • Sehr treffend geschrieben!

  • Sehr gut gesprochen, Bjoern Vetter!
    Jemand der das Thema „Drinnis“ und „Draussis“ auf den Punkt bringt!
    Wir sind alle Veteranen! Ich kenne alle Seiten! Ich bin Cold War Veteran (W15, PzGren.), Wehrübender Veteran (Cold War, KFOR, ISAF).
    Was mich dabei aber stört, ist die Meinung, dass jeder der nicht im Auslandseinsatz war, eigentlich nichts erlebt und zu verkraften hat!
    Es war eine ganz andere Zeit; kein Handy; kein Internet; keine Shops zum aufbessern der Ausrüstung; Wachdienst in den Mun.Lagern, miten im stockdunklen Wald (nach den Lebach-Ereignissen); verwundete Kameraden durch Fehlfunktion der BMK des Marders usw. usf.! Ein Nato-Alarm mit Ausrücken und beziehen von Verfügungsräumen; all das hat such auch vielen von uns in die Seele eingebrannt! Natürlich war es etwas anderes im Gefecht mit den Schwarzfüssen in AFG, oder den Exhumierungen der Massengräber im Kosovo! Aber jede Zeit hat ihre eigenen Wunden geschaffen! Das sollte niemend vergessen, der den Begriff „Einsatz“ als herausragende Eigenschaft eines (ehemaligen) Soldaten ansieht! Wer meine Unterstützung und die vieler meiner Kameraden aus den Zeiten vor den Auslandseinsätzen will, der sollte keine Veteranen 1., 2. usw. Klasse schaffen!
    Wir sind alle Veteranen; wir haben alle etwas erlebt; den einen oder anderen beschäftigt das heute noch, ist gar krank davon geworden, aber wir sind alle Kameraden!

  • Danke!

  • Genau, er ist „Veteran“ eine Unterhaltung würde nichts weiter bringen, für Ihn bist Du der „Sani“ einfach so stehenlassen…. Du bist ein „EinsatzVeteran“ mit der Erfahrung, die man nicht als Airsoftspieler je sammeln kann oder wird. Wer im Einsatz war, egal ob im In.- oder Ausland hat eine Erfahrung bei der Bundeswehr gesammelt die nicht jeder Sammeln durfte oder konnte… es gibt genug Kameraden die verstehen was Du meinst.

  • Ohne Worte! ?

  • Danke für deine Worte!
    Mir geht es auch so….
    Brother in Arms!
    SFOR 1999

  • Den Nagel auf dem Kopf getroffen.
    Es ist egal, welche Funktion man in Einsatz hatte. Nur gemeinsam konnten wir den Auftrag erledigen. Und man war froh, das es andere Waffengattungen gab, die einem dem Job erleichtern konnten.
    Und ein Sani, ist einer der wichtigsten gewesen.
    Danke für Euren Support.
    Und du bist ein Einsatzveteran.
    Egal was andere sagen.

    MkG ein Einsatzveteran

  • Gut beschrieben. Besser kann ich das auch nicht wiedergeben.
    Ps.: da waren wir anscheinend zur selben Zeit, im selben Einsatz!

  • Super Text
    Semper fi

  • Du spiegelst mit deinen Worten mein unserall Erlebtes in Afghanistan wieder…

    Es ist traurig zu lesen das es nie einer verstehen wird der nie selbst dabei war….

    Ich war damals 10/11 in Afg Kunduz mit den Fallis aus Seedorf. Ich selbst war Richtschütze auf dem Spz Mader 1A5. Es ist schwer manche Dinge zu verstehen oder zu begreifen. Jetzt könnte der ein oder andere auch sagen hey du warst ja im geschützten Panzer hast ja nichts da draußen gesehen. Falsch gedacht auch wir haben mitten im Geschehen TD verrichten müssen sowie alle anderen Dinge weil auch die abgesessenen Kameraden irgendwann „OFFEN“ waren.

    Meine PTBS schluchzte sich erst nach Jahren ein, so schlimm das ich 2016 berentet wurde mir damals 28 Jahren.

    Heute 3 Jahre später bin ich Wiedereinsteller der Besonderen Art. Aber glücklich oder besser fühle ich nicht damit auch nicht mehr. Finanziell ist es ein meilenweiter Unterschied. Aber diese ständigen Verstärkten Flashbacks machen mich fertig. Und selbst in der Einheit verstehen viele nicht warum ich mich in manchen Situationen „anstelle“ junge Menschen die ihr Leben vorsich haben, den Rambo in sich spüren. So waren wir alle mal….

    Sry das es länger wurde.

  • Super geschrieben.
    Erkenne da gleich ein paar Parallelen…
    EinEinsatzKP Prizren 1999/2000

  • Danke Kamerad! SFOR 1998 FLAZ Rajlovac

  • Meinen vollen Respekt, denn trotz 38 Jahre ununterbrochen Mob-Beorderung als Einsatzreservist sehe ich bescheiden nur als Alt-Reservist und nichts anderes.
    Gruß aus der badischen Hardt
    Nebel-Ahoi

  • Sehr gut geschrieben und so geht es uns allen.
    Zieglowski OSG
    SFOR 99 KFOR 2000 ISAF 2004
    SFOR 2006

  • 100% deiner Meinung, klasse geschrieben.

  • Dem ist nichts hinzuzufügen. Ich war 8 Jahre Soldat, habe Wochenlang mit Amerikanern während Golf1 Guarding in und um deren Kasernen und Housings gemacht und dabei auch viel ungutes Gefühl dabei gehabt. Aber das hier, daheim.
    Ich bin stolz darauf aber Einsatzveteran bin ich deswegen noch lange nicht.
    Hab Dank, bleib gelassen und freu Dich darüber, daß andere es nicht erleben mussten.
    Wäre ich damals gegangen? Klar. Gemeldet dafür? Klar. GOLF 1 durften wir nicht, Somalia falsche ATN und da wo Du warst Rest Dienstzeit zu kurz.
    Heute sage ich… Gut so.. Auch wenn ich es mir leid tut diese Erfahrung nicht gemacht zu haben. Komisch, oder?
    Gruß, Max

  • Ja genau so und nicht anders! Ich habe es auch so empfunden. SFOR Gepanzerte EinsVd,98/99, Kfor 99/2000 TFZur, ISAF 2006.
    FschJgBTL 5.373

  • Guter Beitrag Björn. Ich war zwar nicht im Auslandseinsatz, behandle aber jeden Kameraden mit dem gleichen Respekt.

  • Wer sagt das ein SANI nur ein SANI ist und war der ist und war nie Soldat. Hut ab vor jeglicher Leistung und nicht nur im Einsatz.

  • Dankeschön,du sprichst mir sowas von aus dem Herzen.
    Bin auch „NUR“Danni gewesen ,doch bin ich seit einem Einsatzunfall Schwerbehindert und Erwerbsunfähigkeitsrentner.
    Am m härtesten für mich wären dann so blöde Sprüche wie:“ Die hätten Mal richtige Soldaten hinschicken sollen und nicht Sannis!“ Oder“ Wenn man wenigstens richtige Männer geschickt hätte und keine Sannis!!!“
    Da kommt zum körperlichem Schmerz noch der seelische Schmerz!!!

  • Super geschrieben, alles auf den Punkt gebracht. War 1997 3. Kontingent, OP Gruppe Flaz Rajlovac.

  • Mein Wehrdienst liegt schon lange zurück. Unsere Kleidung war oliv, das Gewehr war das G3, es gab noch den eisernen Vorhang. Ich sage danke für diesen tollen Text. Denn er zeigt was die Soldatinnen und Soldaten jeden Tag für uns leisten. Welche Gefahren sie auf sich nehmen und welche Folgen sie dafür in Kauf nehmen, dass das von uns gewählte Parlament sie in den Einsatz schickt. Man kann vor dieser Leistung nicht genug Hochachtung und Dankbarkeit empfinden.

  • sehr gut geschrieben Björn-kann man nicht besser machen…

  • Meiner Meinung nach sollte man gerade auch im Kreise der aktiven wie auch ehemaligen Soldaten den Begriff der Ehre, des ehrenhaften Verhaltens wieder von der Müllhalde der political correctness holen.
    Dazu gehört auch, daß man anderen ehrenhaft dienenden Soldaten die Ehre nicht schmälert oder gänzlich abschneidet. Gleich, wo diese eingesetzt sind oder waren.
    Denn würden wir uns auf die argumentativen Niederungen einiger „Einsatzveteranen“ herablassen … so manch ein Stalingradkämpfer würde diese heutigen „Einsatzveteranen“ nur müde belächeln, wenn nicht gänzlich verdammen !
    Wir sind / waren alle Soldaten, und die, die ehrenhaft ihren Dienst leisteten, sollten sich auch so begegnen. Die einen mit mehr Ehrenzeichen an der Brust – andere mit weniger. Aber da sollte es schon gut sein — denn so manch ein „Held“ empfing seine Kugel / seinen Hieb und heute denkt niemand mehr an den heutzutage u.U. verunglimpften Standesgenossen.
    Und zur o.g. Aussage von wegen „nur Sani“ … : Wenn Du mehr oder minder verletzt im Feuer liegst, kann Dir der leblose Held wie auch der Vorpreschende egal sein — Deine (einzige) Sorge wird sein, wo sich der nächste Sani befindet … um DEIN Leben zu retten / zu helfen !
    Davon abgesehen stelle ich mir die Frage, wann wohl jemand darauf kommt, die heutigen „Einsätze“ als gegen das Völkerrecht verstoßend resp. verbrecherisch einzustufen … . Dann erfolgt das auf`s Neue, was wir schon in den 90ern erleben durften – aus „Helden“ werden plötzlich verachtenswerte Individuen … . Sollten wir nicht alle gemeinsam stehen oder haben dann auch die „Einsatzveteranen“ weiterhin ihre vermeintlichen Ehrenplätze in der 1.Reihe ?!

  • Ich kann dem Soldaten der das erfasst hat nur gratulieren, viele Jahre haben mir selbst die Worte gefehlt das auf Papier wieder zu bringen was er geschrieben und erlebt hatte. So vieles das er erlebt hat kann ich nur bestätigen. Ich musste es mehrmals lesen da ich das nicht am Stück geschafft habe man fühlt sich wirklich wieder zurückgeworfen und ich habe Gänsehaut bekommen.

  • Danke, es trifft genau den Punkt. Den Tränen nahe, denke ich viel über meine Einsätze, und wie es Einen, Kameraden, mich verändert hat. Dennoch würde ich immer wieder gehen, weil wir sind Soldaten und ja VETERANEN. 6 Monate auf Lagergröße von 300×500 Meter aufwärts ist kein Zuckerschlecken.

  • Respekt und Lob für diese eindringlichen Worte! Mir geht es bis heute genauso – nur wer es erlebt hat, kann verstehen!

  • Danke alter Weggefährte das du meine Gedanken und Erinnerungen so treffend in Worte gefasst hast.
    „HEBT AN“!

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